OHA – Interview „Muss die schleswig-holsteinische Ostseeküste als ein Goldenes Feigenblatt herhalten?“

Das vollständige Interview des Ostholsteiner Anzeigers der SHZ mit Jochen Czwalina vom 26.04.2023

JC: Vorweg möchte ich noch korrigieren: es wird geprüft, ob ein Nationalpark eingerichtet werden soll. Sie haben nach Naturschutzgebieten oder Naturpark gefragt. Ein Nationalpark jedoch ist die höchste Stufe eines Natur-Schutzgebietes und rechtlich über einem einfachen „Naturschutzgebiet“ angeordnet. Naturschutzgebiete (NSG) haben wir bereits diverse – nicht nur auf Fehmarn. Dabei muss man wissen, dass die Flächen des Nationalparks sich an den bestehenden Naturschutz-, FFH- oder Natura2000-Gebieten orientieren und auf diesen bestehenden Flächen basieren soll. Es wird freilich noch neues, bisher nicht berücksichtigtes Gebiet dazu genommen (neue kartierte Riffgebiete in der Flensburger Förde bis Schleimündung und nordöstlich von Fehmarn), ansonsten sind es aber alles Bereiche, die bereits dem Naturschutz in irgendeiner Form unterliegen (https://nationalpark-ostsee.de/wp-content/uploads/2023/04/MEKUN_NPO_Gebietskulisse.pdf – Seite 4).

Ostholsteiner Anzeiger: Das Naturschutzgebiet würde wahrscheinlich mit einigen Einschränkungen einhergehen – auch für den Wassersport – was sind die größten Befürchtungen für Sie und Fehmarn als Wassersportstandort?

Jochen Czwalina: Der Nationalpark hat zum Ziel, den höchsten Natur-Schutzstandard für eine weitestgehend zusammenhängende Region zu etablieren. Da dieser auf bereits bestehenden schon jetzt geschützten Flächen aufbauen soll, würde man die bereits durch NSG, FFH und Natura2000 bestehenden Beschränkungen noch weiter erhöhen. In einem Nationalpark sollen in der mindestens 51%igen Kern- oder auch Nullnutzungszone genannt – keine Zutritte, Entnahmen, Zugaben oder Änderungen durch den Menschen erfolgen.

Fehmarn ist von NSG und Natura2000-Gebieten bereits jetzt schon, bis auf den Trassenverlauf der Festen Beltquerung (FBQ),  fast vollständig umschlossen – (https://maps.helcom.fi/website/mapservice/?datasetID=47a94309-c72b-4a1a-8982-ed24ae829220). Weitere Einschränkungen würden nur noch mehr Verbote auf den angrenzenden Wasserflächen und Küstenstreifen bedeuten. Denn ansonsten könnte man ja den aktuellen Stand einfach beibehalten.

Das kann heißen, dass wir weniger Kite- und Surfspots sowie Platz für Aktivitäten wie SUP, Kayak oder Tauchen in direkter Küstennähe zur Verfügung hätten. Ebenso könnte die Bewegungsfreiheit der Segel- und Motorboote eingeschränkt werden, wenn diese in der Nullnutzungszone unter Motor nicht mehr fahren dürfen. Das Segeln in der Kernzone wurde vom Umweltminister auf der Veranstaltung am 21. März in Heiligenhafen bereits als voraussichtlich bedenkenlos eingestuft. Allerdings besteht weiterhin Skepsis trotz dieser eigentlich positiven Aussage.

OHA: Was müsste ihrer Meinung nach passieren, damit der Naturpark die Gewerbetreibenden und die Sportler nicht zu sehr beeinflusst?

JC: Um es kurz zu machen, ein Nationalpark Ostsee darf schlichtweg nicht eingerichtet werden.

Ein solches Schutzgebiet würde niemals zurückgenommen werden, da es sonst seinen Zweck verfehlen würde. Die bisherigen Einschätzungen auch von ehrenamtlichen aktiven Naturschützern sind auf Fehmarn eher kritisch. Denn man hat beobachtet, dass der Naturschutz tatsächlich dort am Besten greift, wo er aktiv durch private Naturschutzvereine durchgeführt wird. Und das passiert jetzt schon ganz ausgezeichnet auch ohne ein Nationalparksamt, das sich hauptsächlich mit der Bearbeitung von Anträgen und Genehmigungen beschäftigen müsste und nicht mit aktiv gelebtem Naturschutz.

Die Kosten für ein solches Verwaltungsmonster, verbunden mit jahrelangen Antrags- und Genehmigungsschlachten für sämtliche Firmen, Kommunen und Privatpersonen in der betroffenen Region stehen in keinem Verhältnis zu dem Zugewinn an tatsächlicher Schutzwirkung (90 Mitarbeitern in der Verwaltung des Nationalparks Wattenmeer, die allermeisten davon im Büro zum Bearbeiten ebensolcher Papiere).

Wir sprechen hier über eine Gesamtfläche von rund 1.600 km2. Das sind etwa 0,4% der Gesamtfläche der Ostsee. Die Probleme, die an anderen Stellen der Ostsee verursacht werden, wie Eutrophierung oder Schadstoffeinträge durch Flüsse können wir hier an unserer kurzen Küste nicht lösen. Allerdings müsste die schleswig-holsteinische Ostseeküste als ein riesiges goldenes Feigenblatt herhalten, damit sich Deutschland mit einem weiteren Nationalpark im internationalen Vergleich brüsten kann. Um so vieles wichtiger ist die Bergung von Unmengen chemischen Kampfstoffs vom Grund der Ostsee, zB Senfgas oder versenkte Seeminen. Verglichen mit diesen wirklich noch viel dringenderen Problemen und größeren Hebeln, damit es uns wirklich gelingt, die Selbstheilungskräfte der Ostsee zu unterstützen, scheint ein goldener Feigenblatt-Nationalpark unnütz. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass es bereits jetzt fast alles schon Schutzgebiete sind, mit denen man sich nach langen Verhandlungen in der Vergangenheit bereits arrangiert hat.

OHA: Sehen sie auch Chancen in der Einrichtung eines Nationalparks vor Fehmarns Küste? Wenn ja, welche? 

JC: Um ehrlich zu sein, habe ich bisher keine Chancen entdecken können. Ich erkläre Ihnen, warum ich das so sehe.

  1. Wir haben auf und um Fehmarn bereits Naturschutz- und Natura2000 Gebiete, die mit einem Schutzrecht auf europäischem Niveau eingerichtet sind. Der Schutzstatus würde sich durch einen Nationalpark erhöhen, ohne einen ausreichend großen Hebel in der Schutzwirkung zu erzielen. Bildlich gesprochen würden wir vielleicht von 70% Schutz auf 80% erhöhen (frei erfundene Zahlen zur Verdeutlichung). Und trotzdem würde dadurch nichts an den wirklichen Ursachen wie Eutrophierung und Schadstoffeintrag ausserhalb Deutschlands ändern. Damit wäre es bezogen auf die großen „Schädlinge“ nahezu nutzlos – nur mit einem extrem Maß an Überregulierung für alle Anwohner/Betroffenen in der Küstenregion und auf dem Wasser.
  2. Gerade die Landwirtschaft in SH ist mit den Gewässerschutzprogrammen zur Verringerung der Eutrophierung bereits dabei, zum besseren Schutz der Ostsee beizutragen (siehe zB PM vom MEKUN vom 24.04.2023). Und da gibt es natürlich noch mehr Beispiele, wie zB die Allianz für den Gewässerschutz, bestehend aus MEKUN, MLLEV, BVSH, LWBV und BDEW. Das geht ganz offensichtlich auch ohne einen Nationalpark.
  3. Würde der Zugang an bestimmten Stellen eingeschränkt (zB an der Küste zwischen Fehmarn und Kiel), verteilt sich der Besucherstrom entsprechend auf andere Orte ohne Einschränkung, wie zB die Lübecker Bucht. Und auch dort an der Lübecker Bucht gibt es bereits kritische Stimmen, die einen Übertourismus beklagen und diesen in Frage stellen.
  4. Wir Wassersportler sind auf die Natur angewiesen und lieben es, uns in ihr zu bewegen. Die allermeisten sogar komplett emissionsfrei vom Wind angetrieben während der Ausübung des Sports in freier Natur. Ich kann nicht erkennen, welche Vorteile dem Meerwasserschutz weitere Einschränkungen dieser Menschen bringen sollen. Im Gegenteil. Wind- und Kitesurfer können unter Umständen sogar zur kurzfristigen Verbesserung der Sauerstoffversorgung der Bereiche beitragen, in denen der Sport ausgeübt wird. Das Ostseewasser wird durch die Boards aufgeworfen und landet minimal angereichert wieder auf der Wasseroberfläche. Das ist natürlich sehr schwer zu messen und meines Wissens noch nicht untersucht worden. Doch klar ist auch, dass Springbrunnen in Seen und Teichen eingesetzt werden, um die Wasserqualität für die Flora und Fauna darin zu verbessern. Ich kann mir gut vorstellen, dass dies auch in der Ostsee einen wenn auch wirklich minimal positiven Effekt haben könnte – und das völlig emissionsfrei und ohne den Verbrauch fossiler Brennstoffe.
  5. Übrigens wurde mit viel medialer Begleitung durch den NDR eine mehrmonatige Untersuchung der geschützten Armleuchteralgen in der Orther Bucht unternommen um festzustellen, ob die Surfer und Kiter den Wachstum der Pflanzen beeinträchtigen. Es wurde später festgestellt, dass es der Alge ausgesprochen gut geht und sie ohne weitere Einschränkung im Einklang mit dem Wassersport in der Orther Bucht gut leben kann (Auftakt Beitrag im Anhang, leider nicht mehr online verfügbar) – und das bereits seit den 1980er Jahren, als der Windsurfsport auf Fehmarn angekommen ist. DAS wurde allerdings wiederum nicht so medial aufgearbeitet, da man sich medial insgeheim ein anderes Ergebnis erhofft hatte. Dieses Beispiel zeigt: hier geht Natur ganz ausgezeichnet Hand in Hand mit dem Wassersport.

OHA: Was denken sie über das Vorgehen der Landesregierung erst einmal mit den Anliegern der Küstengebiete ins Gespräch zu gehen? 

JC: Ein absolut sinnvolles und modernes Vorgehen. Gleichzeitig ist auch genau das die besondere Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Alle Betroffenen haben berechtigte Ängste, dass es zu Einschränkungen kommt und diese werden entsprechend formuliert. Und das alles noch ohne konkrete Formulierungen, was passieren wird – was ja in der Natur eines Beratungsprozesses liegt. Damit umzugehen erfordert ein gewisses Maß an Geduld und Bereitschaft, sich auf darauf einzulassen.

Vor ein oder zwei Generationen hätte man wohl eher ein Gesetz verabschiedet und alle hätten damit umgehen müssen. Diese Besorgnis und die Ungewissheit geht von Dahme die ganze Küste herauf bis nach Flensburg – wenn man mal von den herausgenommenen Gebieten Kieler Förde, Eckernförder Bucht und der Schlei absieht.

Fehmarn nimmt wortwortlich naturgemäß eine Sonderstellung ein, da wir eben auch ganz besonders davon betroffen sind. Der Nationalpark würde auf Basis der aktuellen Potenzialkulisse rund 95% der Insel umschließen und damit auf so gut wie alle Orte in einer bisher noch nicht näher definierbaren Weise Einfluss nehmen. Also werden wir uns von Fehmarn aus besonders darum bemühen, den Betrieben, Familien und Vereinen der Insel in den entsprechenden Workshops eine Stimme zu verleihen. Da ziehen die überwiegende Mehrheit der Parteien, Vereine, Firmen und Verwaltung an einem Strang.

OHA: Werden Sie an einem oder mehreren, der zu dem Thema von der Landesregierung geplanten Workshops teilnehmen? Wofür werden sie sich dort einsetzen? 

JC: Als Geschäftsführer der CORE Kiteboarding GmbH mit knapp 50 Arbeitsplätzen im Wassersportbereich bin ich selbstverständlich sehr stark vom Thema betroffen und setze mich dafür ein, dass wir auf Fehmarn weiterhin unsere Produkte ohne noch mehr Einschränkungen entwickeln können. Dafür ist ein ganzjähriger Zugang zu den Stränden und den angrenzenden Wasserflächen rund um die Insel absolut notwendig. Der Wind weht ja nicht immer aus derselben Richtung.

Dasselbe gilt natürlich nicht nur für Fehmarn, sondern auch die gesamte Ostseeküste von Dahme bis Flensburg. Viele unserer geschäftlichen Kunden ernähren mit der Hilfe unserer Produkte ihre Familien und es wäre absolut fatal, würden Einschränkungen greifen, die sowohl für den Wirtschaftszweig Wassersport als auch dem damit verbundenen Tourismus Nachteile bringen würden. Nicht auszudenken wären die Folgen, würden Kite- und Surfspots platztechnisch noch weiter reguliert werden, denn die Sportler würden sich dann auf andere, weniger regulierte Spots verteilen, an denen dann mehr Zulauf wäre. Das wäre insgesamt eine Verschlechterung der Situation.

Ich habe mich bereits direkt für die Teilnahme im Workshop Wassersport bei der zuständigen Koordinatorin in Kiel beworben, habe bisher allerdings noch keine Antwort erhalten (Stand 25. April).

OHA: Halten Sie den Zeitrahmen, schon bis Ende 2023 eine Einigung zu erzielen, für realistisch?

JC: 23 von 8358 Zeilen im Koalitionsvertrag zur 20. Legislaturperiode zwischen CDU/Grüne beschäftigen sich mit der Thematik des Nationalparks Ostsee, das sind 0,03 Promille des Gesamtwerks (Zeilen 4847-4870). Ich fürchte, man hat sich während der Verhandlungen zum Koalitionsvertrag einfach nicht viel Gedanken zum Timing gemacht. Anders kann ich mir einen solchen Schnellschuss nicht erklären.

Gerade die Kreis- und Kommunalwahlen im Mai 2023 mit sich neu konstituierenden Gremien im Juni und darauf folgende Sommerferien stellen besonders die kommunalpolitischen Gruppierungen und Ausschüsse vor besondere Herausforderungen. Denn dann sollen die meisten der sechs Stakeholder-Workshops mit je 50 Teilnehmern ja eigentlich schon gelaufen sein. Das kann in meinen Augen nicht fair funktionieren.

Vom Land wird zwar eine Beteiligung eingefordert, doch das Fachwissen in den verschiedenen betroffenen Gruppen muss ja erst einmal aufgebaut werden. Dafür sind tiefe Analysen, Aufklärungen in Fachgruppen und Gutachten durch Dritte notwendig, die in dieser kurzen Zeit überhaupt nicht realistisch durchzuführen sind.

Gerade auf Fehmarn sind wir durch die Feste Fehmarnbeltquerung, die Feste Fehmarnsundquerung und die Errichtung einer neuen Berufsfeuerwehr-Hauptwache zusätzlich zu den normalen kommunalpolitischen Themen wie Wohnungsmangel, bezahlbarer Wohnraum, Umgehungsstrassen, Fachkräftemangel und neuen Baugebieten extrem stark belastet. Nicht nur die Verwaltung, sondern auch alle politischen Ehrenamtler. Da kommt ein so enges Timing für den Konsultationsprozess inklusive überdimensioniertem Damoklesschwert maximal unpassend. Der Zeitraum für den ganzen Prozess muss deutlich verlängert werden, um den betroffenen Stakeholdern Zeit für korrekte Analysen zu bieten.

Mag zwar ambitionistisch gedacht worden sein, doch leider wurde die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

Vielen Dank für das Interview.