IG Nationalpark Ostsee veröffentlicht offenen Brief an Goldschmidt doppelseitig in Lübecker Nachrichten und Kieler Nachrichten

Offener Brief

Ministerium für Energiewende, Klimaschutz,
Umwelt und Natur des Landes S-H
Herrn Minister Tobias Goldschmidt
Mercatorstr. 3
24106 Kiel

                                                                                                                                                           Juli 2023

Sehr geehrter Herr Minister Goldschmidt,

kürzlich haben Sie Ihre Pläne zur Einrichtung eines Nationalparks Ostsee der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die derzeit laufende Diskussion ist Ihnen grundsätzlich bekannt. Mit diesem Schreiben erhalten Sie zusätzliche Informationen und einen Eindruck der Diskussionen vor Ort.

In der Gesamtschau ist die Situation wie folgt:

Sachstand: In den Kreisen Ostholstein und Plön sind mehr als 60% der Arbeitsplätze unmittelbar oder mittelbar mit dem Tourismus verbunden. In Einzelregionen wie der Insel Fehmarn sogar mehr als 90%. Zudem prägen landwirtschaftliche Nutzflächen das Bild der beiden Kreise. Die Notwendigkeit, die Ostsee zu schützen, ist daher unstrittig. Vorrangig wird in diesem Zusammenhang an die Munitionsreste erinnert, die zum Ende des Zweiten Weltkriegs in der Ostsee versenkt wurden und als „tickende Zeitbomben“ gelten. Hier wird dringender Handlungsbedarf angemahnt.

Bewertung und Folgerung: Die Einrichtung eines Nationalparks Ostsee kann unseres Erachtens nicht am Beginn eines Prozesses zum notwendigen Schutz der Ostsee stehen, sondern gilt aus hiesiger Sicht als „ultima ratio“ – oder anders ausgedrückt: Nationalparkgesetz erst dann, wenn alle am Ende dieses Briefes aufgeführten Maßnahmen nachweislich nicht zum gewünschten Erfolg geführt haben:

  • wenn der schlechte Gesamtzustand der Ostsee ausschließlich dadurch erheblich verbessert wird
  • von den Küstenbewohner:innen und den Interessensverbänden neu zu entwickelnde kreative ökologische Nutzungskonzepte nicht wirken
  • ein politisch-gesellschaftlicher Diskurs stattgefunden hat, inwieweit massive Einschränkungen für Teile der Bevölkerung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen
  • nach einem intensiven und zeitlich angemessenen Prozess der (aufsuchenden) Aufklärung insbesondere über die langfristigen Verbotspotenziale (für zukünftige Generationen) eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung einen Nationalpark befürwortet.

An der Stelle stehen wir aber derzeit (noch) nicht. Das Fazit lautet:

Schutz der Ostsee und Erhalt der Lebens-/Arbeitsbedingungen in der Region im Doppelpack – und zwar ab sofort, mit Augenmaß.

Wirtschaftspolitischer Kahlschlag durch einen Nationalpark nur gegen den geschlossenen Widerstand aller Betroffenen.

Im Einzelnen:

Tourismus

In der Region Ostholstein haben die Kommunen in den letzten Jahren mit erheblicher finanzieller Unterstützung des Landes Schleswig-Holstein einen zweistelligen Millionenbetrag in die touristische Basisinfrastruktur investiert. Damit ist sichergestellt, dass unsere Region als Tourismusdestination im nationalen aber auch im internationalen Wettbewerb bestehen und nachhaltig zur Wertschöpfung beitragen kann. In den Bereichen Hotellerie, Gastronomie, Einzelhandel, Camping, Ferienhöfe u.a. generierten die genannten Maßnahmen wiederum private Investitionen in Höhe von mehr als 100 Mio. EUR. Zu den positiven Folgen gehören ganzjährige Arbeitsverhältnisse, die nicht nur zahlreichen Menschen im Niedriglohnbereich zugutekommen. Eine Nullnutzung der Ostsee und deren Strände wird massiv negative Auswirkungen auf den Tourismusstandort Schleswig-Holsteins haben.

Wassersport

Die Küste zwischen Flensburg, Fehmarn und Kellenhusen beheimatet eine Vielzahl attraktiver Reviere für jede Art von Wassersport.Davon zeugen nicht nur die zahlreichen Sporthäfen und Schulungseinrichtungen. Herstellung und Handel mit Produkten des Wassersports gehen damit einher. Unsere Region verfügt über viele tausende Bootsliegeplätze in attraktiver Lage auch zu den dänischen Revieren, beheimatet eine Vielzahl weiterer Wassersportler und besitzt damit deutschlandweit einen erheblichen Standortvorteil mit enormer wassersportbezogener Wirtschaftskraft. In den zurückliegenden Jahren sind in diesem Bereich zahlreiche Arbeitsplätze entstanden. A.h.S. hat die Berücksichtigung wirtschaftlicher/sportlicher Interessen einerseits und von Belangen des Naturschutzes andererseits inzwischen beispielhaften Charakter.

Laut einer Erhebung aus 2022 (Surf-Magazin) gehört die westliche Ostsee zu den mit Abstand beliebtesten Revieren der mitteleuropäischen Szene. Eine Marktanalyse der Firma SPN Projekt GmbH ergab allein 1,83 Millionen „surfaffine Personen“ in einem Radius von 2 Autostunden ab Hamburg-Stade. Auch zukünftig ergibt sich aufgrund der grundsätzlichen Verbundenheit zum Wasser ein erhebliches Potenzial, gemeinsam neuartige Naturschutzkonzepte zu entwickeln, die auch zukünftigen Generationen den Zugang zum Wasser wie heute ermöglicht.

Fischerei und (Sport-)/Angeln

Fischerei gehört zu den Wesensmerkmalen der Region. Bei der Veranstaltung in Heiligenhafen zum Thema Nationalpark Ostsee am 12.04. d.J. wurden Ihnen die Sorgen der Betroffenen vorgetragen. Sog. „Nullnutzungszonen“ von mindestens 50 % und darüber würden Küstenfischern, die einen Küstenstreifen zwischen einer und drei Seemeilen nutzen, den „Todesstoß“ versetzen. Daran kann niemand ernsthaft Interesse haben.

Auf die Resolution des LVSF SH gegen den Nationalpark Ostsee vom 11.05. 2023 sei hier der Vollständigkeit halber hingewiesen

Landwirtschaft

Landwirtschaftliche Betriebe prägen die Geländekulisse in den betrachteten Kreisen. Sie gehören darüber hinaus zu den großen Arbeitgebern. Schon heute gelten bei der Bewirtschaftung von Wald und Ackerflächen strenge Auflagen für den Schutz von Mensch, Tier und Umwelt. Die Einrichtung des Nationalparks Ostsee könnte darüber hinaus mittel- und langfristig zu weiteren einschneidenden Einschränkungen führen, die als existenzbedrohlich einzustufen sind.

Gesamtschau

In der Region herrscht große Verunsicherung bis hin zu Existenzängsten.

Das von Ihnen angestoßene Konsultationsverfahren zum Nationalpark Ostsee hat gerade erst begonnen. Offensichtlich steht für Sie dabei aber nicht die Frage des „Ob“, sondern allenfalls des „Wie“ im Vordergrund. Einen Maßnahmenkatalog unterhalb dieser Einrichtung stellen Sie nicht zur Diskussion. Damit wird uns die Zusammenarbeit mit Ihnen und Ihrem Haus nicht leichtgemacht. Daher der Appell an Sie, zunächst alle weiteren Maßnahmen und Instrumente zum Schutz der Ostsee unterhalb der Schwelle eines Nationalparks auszuschöpfen, statt gegen die Wünsche und Interessen der Menschen vor Ort zu entscheiden.

Wir fordern deshalb ganz konkret:

  • Offener und transparenter Konsultationsprozess (Besetzung der Arbeitsgruppen).
  • Nachweis durch Ihr Ministerium, warum nur ein Nationalpark zielführend ist.
  • Eingriffe dort, wo Handlungsdruck besteht (Munitionsreste).
  • Strengere Kontrollen bei der illegalen Entsorgung von Rückstandsschlämmen aus schwerölbetriebener Schifffahrt sowie Vorantreiben und Weiterentwickeln neuer Abgasreinigungs- bzw. Schrubbersysteme.
  • Verstärkt nationale und internationale Abkommen mit Akteuren zum Schutz der Ostsee.
  • Einleitungsstrategien der Gewässer in der EU (z.B. Polen) und der Hinterlandanbindung (z.B. Deutsche Bahn)

Mit freundlichen Grüßen

Der gesamte veröffentlichte Brief in Anzeigenform