Freie-Ostsee SH – Stellungnahme zu aktuellen Forderungen der Umweltverbände

Die Initiative „Freie Ostsee Schleswig-Holstein“ setzt sich aus engagierten Personen zusammen, die sich in ihrer Freizeit zusammengefunden haben, um ihren demokratischen Beitrag zu einem wirkungsvollen, ausgewogenen und gesellschaftlich akzeptierten Ostseeschutz zu leisten. Unter uns finden sich viele Naturwissenschaftler, Geisteswissenschaftler, Psychotherapeuten, Ärzte, Ökonomen, Lehrkräfte und Juristen, wir sind selbständige Handwerker, Gewerbetreibende, Freiberufler, Beamte und Angestellte. Uns eint die Liebe zu unserer Ostsee. Wir sind aufgrund der Multiprofessionalität unseres Teams uneingeschränkt in der Lage, die wissenschaftliche und gesellschaftlichen Diskussion fundiert zu beurteilen und einzuordnen.

Die Initiative „Freie Ostsee Schleswig-Holstein“ ist ebenso wie viele Naturschutzverbände und Naturschutzbeauftragte in Sorge um den Zustand unseres Binnenmeeres. Es ist wichtig und richtig, dass sich die Politik und Gesellschaft dieses Themas annehmen und dabei einen kritischen und offenen Diskurs pflegen. Wir begrüßen insbesondere die allgemein geteilte Feststellung, dass die wissenschaftlich maßgeblichen negativen Faktoren für den schlechten Zustand der Ostsee in einem zu hohen Nährstoffeintrag durch alle Ostseeanrainerstaaten (nur 2-3 % aus Deutschland), dem Klimawandel, Plastikmüll, der Verschmutzung durch den Großschiffsverkehr der internationalen Berufsschifffahrt und in den Auswirkungen der Munitionsaltlasten zweier Weltkriege zu suchen sind.

Wir sind jedoch eindeutig im Dissens mit den benannten Verbänden zu den aus den wissenschaftlichen Faktoren abgeleiteten lokalen umweltpolitischen Forderungen. Hierzu zählt insbesondere der Ruf nach ausgedehnten störungsfreien und unter strengem Schutz stehenden Zonen (mindestens 30 % der schleswig-holsteinischen Ostsee), ohne wissenschaftlich zu belegen, worin der Mehrwert dieser überaus einschneidenden Maßnahme besteht und ob damit der im Grundgesetz verankerte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt wird. Die nun geforderten störungsfreien Zonen gehen weit über die bisher diskutierte Gebietskulisse hinaus und würden wesentlich mehr Menschen von der Ostsee ausschließen, ohne die Hauptprobleme für den schlechten Zustand des Gewässers zu adressieren. Wir haben daher erhebliche rechtliche und politische Zweifel an der Verhältnismäßigkeit dieser Forderungen.

Fehlende Begründung der Maßnahmen

Wir stellen fest, dass sich die Forderung nach weiträumigen streng geschützten Zonen weder wissenschaftlich noch umweltpolitisch aus den vorliegenden Hauptproblemen der Ostsee ableiten lässt. Dieses Fehlen einer tragfähigen Begründung von Verbotszonen ist bereits im Konsultationsprozess angemahnt worden. Als Initiative weisen wir nachweislich seit vielen Monaten auf diesen Missstand hin. Leider ohne Erfolg, bis heute schuldet das Umweltministerium der Öffentlichkeit eine Erklärung. Auch die Ergebnisse des Konsultationsprozesses sind in diesem Zusammenhang eindeutig. Es bestehen mehr als begründete Zweifel an der Wirksamkeit und an der Verhältnismäßigkeit von derart einschneidenden Verboten. Auch wenn die Verbote nicht mehr die Marke Nationalpark Ostsee tragen, sind die Fordernden in der gesellschaftlichen Verpflichtung, sie zu begründen. Die Beschneidung der Freiheit von Millionen Menschen, sich an der Ostsee auszuleben und frei zu bewegen, muss belastbar sein. Ohne einen signifikanten Nutzen für die Natur sind Verbote Verfassungs- und ordnungsrechtlich unverhältnismäßig und unzulässig. Und selbst bei einem nachgewiesenen Nutzen für die Ostsee müsste in der Abwägung von Betretungsverboten auch das menschliche Bedürfnis nach einem Aufenthalt und sportlicher Betätigung in der Natur als wissenschaftlich erwiesener Faktor für die geistige und körperliche Gesundheit berücksichtigt werden. Verbote im Nationalpark Wattenmeer mit der Begründung, dass eine menschliche Aktivität schon theoretisch Einfluss auf die Natur haben könnte, dienen als mahnendes Beispiel einer einseitigen und unverhältnismäßigen Naturschutzpolitik. In der Vergangenheit von Nationalpark- und Naturschutzgebietsbefürwortern zitierte Studien, die eine größere Widerstandsfähigkeit ungestörter (insbesondere topographisch abgeschlossener) Ökosysteme gegenüber Umweltstress zeigen, sind auf die Ostsee und die dort vorzufindenden Umweltbedingungen nicht übertragbar. Die negativen – insbesondere internationalen – Einflüsse von außen überprägen in der Ostsee schlicht alle vermeintlich positiven Auswirkungen eines Gebietsschutzes.

Verpasste Chancen

Die aktuellen Forderungen nach umfassen Verboten können auch umweltpolitisch nicht überzeugen, denn bereits in der Vergangenheit ist es den verantwortlichen Stellen nicht gelungen, bestehende Abkommen, Verordnungen und Richtlinien hinreichend zu nutzen. Bevor neue bürokratische Maßnahmen erfolgen, gilt es die politischen Versäumnisse der Vergangenheit aufzuarbeiten:

● Die Naturschutzgebiete Schleswig-Holsteins bieten bereits seit 1923 den höchsten Schutzstatus für besonders fragile und schützenswerte Naturschätze.

● Die Flora-Fauna-Habitat-Richtline der EU verpflichtete bereits 1992 die EU-Mitgliedsstaaten dazu, Lebensräume, Tiere und Pflanzen zu schützen. Die Vogelschutzrichtlinie aus 2009, deren Vorläufer bereits 1979 in Kraft trat, verpflichtet zum Schutz der Vogelarten. Gemeinsam bilden die FFH- und Vogelschutzgebiete das Schutzgebietsnetz Natura-2000. In der Ostsee sind insgesamt fast 12.750 km² (Stand 2014) Natura-2000 Flächen.

● Die EU-Wasserrahmenrichtlinie wurde Ende 2000 unter anderem mit dem Ziel erlassen, Wasserkörper bis 2015 in einen guten ökologischen und chemischen Zustand zu bringen.

● Die EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie aus 2008 sah analog zur EU-WRRL vor, dass bis 2020 die Meere der Mitgliedsstaaten in einen guten Zustand (oder zumindest auf den Weg dahin) gebracht werden.

● Die zuletzt 2022 angepasste Düngemittelverordnung des Landes soll Wasserkörper vor einer Überdüngung durch die Landwirtschaft schützen.

● Der HELCOM Plan zu Nährstoffreduktion hat seit 2007 zum Ziel, Nährstofffrachten der Ostseeanrainer zu minimieren.

● MARPOL – das internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (MARPOL-Übereinkommen) vom 02.11.1973 (letzte Ergänzung von 2011) ist ein Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt.

Diese Aufzählung könnte man weiterführen – entscheidend ist jedoch, dass trotz dieser Werkzeuge die Ostsee heute in einem schlechteren Zustand ist als jemals zuvor. Es darf nicht sein, dass Ostsee-Anwohner und -Nutzer, deren Handlungen keinen signifikanten negativen Effekt auf die Gesundheit der Ostsee haben, nun die Rechnung einer seit Jahrzehnten verfehlten Umweltpolitik zahlen sollen. Die Verschlechterung zu stoppen und den Zustand zu verbessern, müssen alle Ostseeanrainer als ihre Aufgabe verstehen.

Kritische Würdigung einiger wesentlicher Forderungen der Umweltverbände

Nachfolgend sollen sieben strittige Forderungen der Umweltverbände und des Landesnaturschutzbeauftragten für einen besseren Schutz der Ostsee genauer betrachtet werden. Zum besseren Verständnis wird die jeweilige Forderung der Umweltverbände kursiv vorangestellt:

1. Der Schutz der Ostsee muss in Form von wirksamen Schutzgebieten wie einem Nationalpark oder Naturschutzgebieten (NSG) möglicherweise eingebettet in ein großflächiges Biosphärenreservat umgesetzt werden, denn nur die damit verbundenen konkreten und verbindlichen Schutzvorschriften, Schutzgebiete und Kontrollen gewährleisten den notwendigen Ostseeschutz.

Würdigung:

Es fehlt jegliche Begründung, warum nur ein Nationalpark oder Naturschutzgebiete (eingebettet in ein Biosphärenreservat) dies leisten können. In den bestehenden Natura-2000 Gebieten sind Schutzgüter definiert und ihr Schutz lässt sich über Verordnungen optimieren. Darüber hinaus sind besonders fragile und wichtige Bereiche der Ostseeküste bereits als Naturschutzgebiete ausgewiesen.

2. Eine Trennung von Bereichen mit intensiver Nutzung von solchen, in denen Lebensgemeinschaften vorkommen, die für das Ökosystem Ostsee notwendig und schutzbedürftig sind, ist vorzunehmen.

Würdigung:

Diese Forderung macht den typischen Fehler einer isolierten modellierten Betrachtung.  Anders als in topographisch trennbaren Gebieten ist eine solche Trennung in der Regel in der Ostsee unmöglich. So nutzen z.B. viele schutzbedürftige sowie „systemrelevante“ Arten sehr weiträumige Bereiche der Ostsee, die sich nicht im Bereich einer nationalen Regelungsbefugnis befinden (Beispiel: Hering).

3. Mindestens 30 % der Wasserfläche in der schleswig-holsteinischen Ostsee müssen einem strengen Schutz unterliegen und von jeglicher Störung ausgeschlossen werden.

Würdigung:

Auch hier fehlt eine fachliche Begründung für diese extreme Forderung. Im Übrigen würden der strenge Schutz von 30 % der Ostseefläche in SH eine wesentlich größere Fläche einnehmen als die mögliche Kernzone eines Nationalparks bzw. ein Naturschutzgebiet. Ein Ausschluss der Menschen aus weiten Teilen der Ostsee, ohne einen signifikanten Mehrwert für die Ostsee benennen zu können und das menschliche Bedürfnis nach sportlicher Betätigung in Gewässern zu Gunsten der Gesundheit zu ignorieren, ist politisch grob fahrlässig und rechtlich unverhältnismäßig.

4. Die Nutzung einzelner Strandabschnitte entlang der Ostsee muss in nachgewiesenen ökologisch sensiblen Bereichen, z.B. den Brutplätzen von Strandvögeln temporär oder vollständig eingeschränkt werden mit einem Ziel von etwa 10 % Strandschutzgebieten.

Würdigung:

Ökologisch sensible Bereiche, besonders Brutplätze von Strandvögeln, sind schon heute Naturschutzgebiete. Eine pauschale Forderung nach weiteren Sperrungen von Stränden ist unwissenschaftlich und willkürlich. Begrüßenswert ist jedoch der Ansatz, statt wie bisher auf ganzjährige Betretungsverbote in NSGs zu setzen, diese an die schutzbedürftigen Brutzeiten der Strandvögel anzupassen. Dies erscheint geeignet, die Akzeptanz der Bevölkerung für einen sinnvollen und begründeten Umweltschutz zu erhöhen.

5. Zur Umsetzung eines wirksamen Gebietsmanagements braucht es eine leistungsfähige zentrale Gebietsverwaltung mit Vollzugsaufgaben.

Würdigung:

Hier soll eine teure Nationalparkverwaltung ohne Nationalpark geschaffen werden. Wesentlich sinnvoller wären die knappen Steuergelder investiert, wenn bereits bestehende, jedoch oft hoffnungslos unterbesetzte und unterfinanzierte bestehende Behördenstrukturen reorganisiert und für ihre Tätigkeiten hinreichend ausgestattet würden. Es kann nicht sein, dass überall Bürokratieabbau gefordert wird und hier weitere Parallelstrukturen geschaffen werden. Auch die geforderten Vollzugsaufgaben lassen aufhorchen, denn hier wird nichts anderes gefordert als eine erweiterte Ranger-Umweltpolizei. Auch sollten lieber die bestehenden Ordnungskräfte (u.a. Polizei) gestärkt werden, diese hoheitlichen Aufgaben zu übernehmen.

6. Vorhandene Seegraswiesen, Riffe und Muschelbänke bedürfen innerhalb wie auch außerhalb von Schutzgebieten eines strengen Schutzes vor Eingriffen, daher müssen diese als verbindliche Schutzzonen mit eindeutigen Verbotsvorschriften ausgewiesen werden.

Würdigung:

Auch hier müssen Maßnahmen kausal belastbar geboten sein. Es darf nur das verboten werden, was der Natur schadet und im ausgewogenen Verhältnis zu den menschlichen Bedürfnissen steht. Weder Seegraswiesen, noch Riffe oder Muschelbänke sind durch die normale direkte Nutzung von z. B. Wassersportlern in Gefahr (Ankerverbote zum Schutz von Seegraswiesen sind selbstverständlich und bereits aus allgemeinen Nutzungsempfehlungen vieler Sportverbände abzuleiten). Wieder sind es in der Regel Klimaerwärmung und Nährstoffeinträge sowie auch die Einwanderung nicht lokaler Pflanzen (Blasentang), die diese wertvollen Untergrundtypen gefährden. Seegraswiesen wuchsen früher in größeren Tiefen, heute sind sie aufgrund des starken Algenwachstum und der damit einhergehenden geringeren Lichtverfügbarkeit in tieferem Wasser auf Flachwasserbereiche begrenzt. Im Flachwasser sind die Temperaturen allerdings zeitweise für das Überleben der Pflanzen zu hoch. Riffe ersticken im sauerstofffreiem Tiefenwasser, werden von Algen oder nicht endemischen Pflanzenarten überwuchert oder werden von absterbendem organischem Material überlagert. Muschelbänke leiden ebenfalls unter zu hohen Wassertemperaturen und Sauerstoffknappheit im Sommer. Verbotsvorschriften im Wassersport helfen angesichts der tatsächlichen Probleme nichts.

7. Freiwillige Maßnahmen können nur unterstützend für den Ostseeschutz wirken. Sie bedürfen aber eines begleitenden Monitorings und einer stetigen Evaluation hinsichtlich der Erreichung und Einhaltung ihrer Ziele. Sie ersetzen keine verbindlichen und für alle geltenden Regelungen.

Würdigung:

Alle ordnungsrechtlichen Eingriffe und Maßnahmen, die dem Naturschutz dienen sollen, müssen evaluiert werden. Ohne Monitoring, Auswertung und Einordnung können sinnvolle nicht von sinnlosen Maßnahmen unterschieden werden. Unsere Gesellschaft lebt aber von Freiwilligkeit und freiwillige Maßnahmen bilden das Rückgrat einer Vielzahl funktionierender Schutzkonzepte. Nur so kann ein erfolgreicher inklusiver Naturschutz in der betreffenden Zielgruppe verankert werden. Die Einbeziehung der Menschen, die sich an und in der Ostsee bewegen, ist der beste Weg für ein gesellschaftlich verwurzeltes Naturschutzverständnis. Die momentan vielfach geforderte Verbotspolitik führt hingegen zu einer demokratiegefährdenden Verdrossenheit. Anstatt Begeisterung zu wecken, wird so die wichtige gesellschaftliche Akzeptanz gefährdet.

Fazit

Leider wird der Initative Freie Ostsee Schleswig-Holstein oft vorgeworfen, aus Gründen eines vermeintlichen Eigennutzes nicht die bestehenden Probleme anzuerkennen. Dem ist nicht so, wie die vorangestellten Einlassungen zeigen sollen. Ohne eine drastische Nährstoffreduzierung und eine Verringerung von Einleitungen sowie einer Lösung des Problems der Munitionsaltlasten wird sich die Ostsee nicht erholen. Auch verstärkt durch die großen Infrastrukturprojekte der Fehmarnbelt- und Sundquerung wird der Wasseraustausch mit der Nordsee geschwächt und die Sauerstoffknappheit verstärkt.  Sommerliche Algenblüten werden weiter zunehmen. Vor allem ein gemeinsames Nährstoffmanagement aller Ostsee-Anrainerstaaten, wie das HELCOM Nutrient input reduction scheme es vorsieht, erscheint geeignet, die Ostsee in ihrer heutigen Form zu bewahren. Die Nährstofffrachten wurden in den vergangenen Jahrzehnten bereits signifikant reduziert – dieser Trend muss durch neue Technologie, einen veränderte Landnutzung, eine angepasste Landwirtschaft und ein Umdenken in der Abwasserbehandlung ausgebaut und fortgesetzt werden.

Zitat Björn Brüggemann:

„Die Rettung unserer geliebten Ostsee gelingt nicht mit dem Ausschluss, sondern nur mit Einbeziehung der Menschen, die mit der Ostsee leben.“

aufrufen auf freie-ostsee-sh.de

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